Die Warnung des Kolibris (German Edition) by Tonia Nellie

Die Warnung des Kolibris (German Edition) by Tonia Nellie

Autor:Tonia Nellie [Nellie, Tonia]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2016-09-11T23:00:00+00:00


32. Kapitel

Sie verspürte Schmerzen. Zuerst war es ein undefinierbares Stechen, das von ihrer Brustgegend ausging, bevor sich bruchstückhafte Bilder des vergangenen Abends ins Bewusstsein platzierten. Und die waren quälend.

Dann spürte Dorothee ihren Kopf, ein hämmerndes Etwas über ihrem Hals. Zudem juckende Stellen im Gesicht. Schon wieder von Mücken gepiesackt. Mit geschlossenen Augen fuhr sie unter die Bettdecke, schob ihren Pyjamaärmel hoch und ertastete gleich zwei kleine Verbände.

Gott, ihr Körper war ein Invalidendom.

Aber hatte sie das alles nicht verdient? Nach dem, was sie angerichtet hatte?

»Gustav«, flüsterte sie.

Keine Antwort.

Mit Mühe, als lasteten Bleigewichte auf ihnen, zwang sie ihre Augenlider nach oben.

Sonnenlicht flutete durch die Ritzen der Fensterläden. Gustavs Betthälfte war leer. Behäbig stieg sie aus dem Bett. Nur keine schnellen Bewegungen machen. Jede fühlte sich schmerzhaft an. Alles fühlte sich so falsch an. Jetzt stand sie vor der Badezimmertür und klopfte. Auch von innen war nichts zu vernehmen, so dass sie die Tür öffnete und ein leeres Bad vorfand.

Hatte er sie aus Rücksicht nicht wecken wollen?

›Mach dir nichts vor, Doro‹, dachte sie. ›Heute wird er Schluss machen.‹

Plötzlich zitterte ihr Körper. Zunächst ihr Rumpf und ihre Arme, dann die Beine. Erneut überkam sie ein Gefühl von Übelkeit. Schnellstens wankte sie zum Bett zurück und setzte sich.

War das normal? Eine moderne Frau im einundzwanzigsten Jahrhundert wurde von einer Heidenangst ergriffen, nur weil ihr Freund sich von ihr trennen würde?

Wie oft hatte sie anderen Ratschläge gegeben, die verlassen worden waren und in ein Loch fielen. Jetzt geriet sie selbst in Panik. Wieder ohne Gustav sein. Doch genau das wollte sich Dorothee nicht ausmalen. Weil er nicht irgendjemand war. Weil er etwas Besonderes war, genau DER eine, wollte sie sich eine Zukunft ohne ihn nicht mehr vorstellen.

Es klopfte an der Tür.

Gustav?

»Ja, bitte?«

Sie wurde aufgerissen, Betti stürmte herein. »Endlich! Du hast ja gepennt wie ein Weltmeister, ist schon halb elf!« Dann setzte sie sich neben ihre Schwester auf das Bett und griff an ihr Handgelenk. »Doro?« Ihre grünen Augen blickten mit einem Anflug von Strenge durch die runde Brille. »Geht es dir besser?«

Dorothee wollte etwas erwidern, aber da die Kehle ihren Dienst verweigerte, nickte sie nur.

»Ist wohl besser, wenn ich bleibe«, stellte Betti fest.

»Wie bitte?«, krächzte Dorothee.

Die Antwort klang wie eine Feststellung. »Das geht sonst nicht gut.«

Zunächst schwieg Dorothee. Dann überwand sie sich zu der Frage, die ihr am Herzen lag und ihr gleichzeitig Unbehagen bereitete. »Wie geht es Onkel Fritz und Terezinha?«

»Ich hab’ heute noch keinen von beiden gesehen,« sagte Betti schnell und sah weg.

Dorothees Mut schwand. »Und Gustav?«

»Auch keine Ahnung, wo der steckt.«

Betti nahm Dorothees Hand. »Doro, ist wohl kompliziert im Moment, aber mach dir keine Sorgen. Ich pass’ auf dich auf.«

Bettis Reise mit den Jungs! Auf einmal regten sich Dorothees Lebensgeister. Betti war zehn Jahre jünger als sie selber und in ihren Augen immer noch ein Kind, auch wenn die Kleine die beste Schlichterin für sie war und schon früher sogar geschrien hatte, wenn die großen Schwestern nicht aufhörten zu streiten. Doch jetzt sollte die Zweiundzwanzigjährige ihren Urlaub genießen und ganz bestimmt nicht Gouvernante einer deprimierten Angehörigen spielen.



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